QiGong
mit Ralf Neuhaus

Was bedeutet atmen?

 

 

Die Lunge ist das einzige Organ des Körpers, das ständig mit der Außenwelt verbunden ist. Atmen bedeutet im Grunde, sich mit all dem, was die Atmosphäre um uns herum füllt, zu verbinden. Der  Rhythmus des Ein- und Ausatmens spiegelt auch unser Gleichgewicht zwischen Aufnehmen, Verarbeiten und Loslassen.

 

Aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) versorgt die Lunge den Körper über die eingeatmete Luft mit Qi, – der Energie, die in unseren Körpern ebenso wie in unserem natürlichen Umfeld permanent zirkuliert. Dieses Atem-Qi wirkt nach der Vorstellung der TCM als so genanntes „Wei“-Qi oder Abwehr-Qi in unserem Körper. Es zirkuliert in der obersten Schicht der Haut. Dieser natürliche Abwehrmechanismus entspricht der Vorstellung des Immunsystems in der westlichen Medizin.

 

 

Problemfall Atmung: „Flachatmung“

Die natürliche Zwerchfell-Atmung: die Grundlage eines jeden QiGong

 

 

 

Problemfall Atmung: „Flachatmung“

Oft sitzen Menschen in Büros mit hochgezogenen Schultern und eingefallener Brust stundenlang vor dem Bildschirm. Diese Körperhaltung ist sehr unspezifisch und lässt oft unbewusst ein Gefühl der räumlichen und geistigen Enge entstehen, gerade bei längerem Verweilen in dieser Position.

 

Physiologisch betrachtet führt die Anspannung von Muskelbereichen des Nackens und Rückens zur folgenden Bewegungskette: Der Bauch wird ein-, die Schultern werden hochgezogen. Dadurch kann sich der Brustkorb nur durch das Anheben der Rippen weiten. Die Folge ist: eine flache Bauchatmung, bei der sich die Lunge nicht genügend ausdehnt und nur im oberen Teil aktiviert wird. Der untere Teil der Lunge wird in diesem Atemmodus nur unterentwickelt belüftet. Die über die lange Dauer des „So-Sitzens“ komprimierte Haltung kann die Entstehung von Stress fördern.

 

Die gesundheitlich empfehlenswerte Alternative ist die tiefe Bauchatmung mit der Aktivierung des Zwerchfells. Wie ein aufgespannter Regenschirm trennt eine Muskelplatte, das Zwerchfell, den Brust- und Bauchraum. Spannt sie sich an, werden die beiden Lungenflügel nach unten auseinander gezogen und so die Luft eingesogen. Das Ausatmen ist dann ein passiver Vorgang. Die vorher gedehnte Lunge schrumpft dann wieder wie ein Gummiband auf ihre ursprüngliche Größe zurück und die Luft entweicht.

 

Atmen bei "QiGong mit Ralf Neuhaus“

In meinen Übungsmodulen spielt die korrekte Atmung eine wichtige Rolle. Die klassischen QiGong-Übungen werden mit Entspannungstechniken wie Gehmeditationen, innere Ruhe ebenso wie Belebung auslösende  Atemtechniken, sowie Achtsamkeitsübungen begleitet.

Die Erfahrung mit den Übenden in den Gruppen ist, dass die ausgeführtern Techniken schnelle Entspannungsreaktionen mit den beschriebenen Übungen auslösen.

 

Die natürliche Zwerchfell-Atmung: die Grundlage eines jeden QiGong

Die flache und im Wortsinne: oberflächliche Atmung ist inzwischen unbewusst, aber tief in den Alltag vieler Menschen eingesunken.

 

Die Entscheidung, QiGong in Ihr Leben zu integrieren, bedeutet auch die Entscheidung zur bewussten Atmung. Denn: allen Übungen liegt eine bestimmte Atemtechnik zugrunde, zu Beginn oft die natürliche Zwerchfell-Atmung. Im Verlaufe des Erlernens von QiGong erweitern spezifische Techniken das Repertoire zur bewussten Atmung. Die basale Grundlage ist das Heben und Senken der Bauchdecke beim Ein- und Ausatmen. Wir wölben die Bauchdecke nach außen: Auslöser ist die Zwerchfell-Aktivierung. Wir heben nicht  den Brustkorb.

 

Die Bewegungsformen und Ausführungen im QiGong kennen folgende Richtung: Heben und Sinken; Öffnen und Schließen. Diese Bewegungen zeichnen Räume, in die  Energie bewusst gelenkt und wieder rückgeführt wird.  Über zu erlernende Bogenschritt- und Standübungen können über Visualisierungen vorgestellte Atemenergien auch über das Element der Erde dem Körper zugeführt werden; in der Umkehr werden verbrauchter Atem dem Boden wieder zurückgegeben. Die sanften und ruhigen Bewegungen von QiGong begleiten dabei die Atembewegungen im Innern. Über die Internalisierung dieses Prozesses, der Fusion aus Bewegung und Atmung, wird durch Verinnerlichung das Bewusst-Werden der Übung gefördert. Die Aufmerksamkeit wird auf bestimmte Energiezentren, sogar Organe im Körper geleitet; der Geist beruhigt sich und wird klar.  

 

Natürlich, die Anforderung sind komplex, können aber über den Prozess der Anleitung und des regelmässigen Übens erlernt werden.

 

Zum Schluß: Wird der Atmung und der  Führung der Aufmerksamkeit nicht die erforderliche Beachtung beigemessen, bleibt QiGong eine bloße Bewegungsausführung, können wir nicht mehr von QiGong als einer „Arbeit mit Energie“ sprechen.

 

QiGong ist auch ein Selbstregulierungsmechanismus, über den sich der Übende selbst positiv beeinflussen kann — auf den Ebenen des Körperlichen, des geistigen und des Seelischen. So reicht das Prinzip von QiGong weit über die Vorstellung eines reinen Entspannungstrainings hinaus.

 

Quellen
Buch „Breath. Atem“ (2020), Buchautor: James Nestor;
Buch „Langsamer Atmen, besser leben – Eine Anleitung zur Stressbewältigung“ (2019), Autor: Thomas H. Loew;
Website: „Deutsche Gesellschaft für QiGong“, gesehen im Oktober 2021;
Arte-Dokumentation „Atmen“, gesehen im August 2021.